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FederLesen

Beweisstück Unterhose

Unterhosen sind in den meisten Fällen gezwungen ein Leben im Verborgenen zu führen. Das ist in der Regel auch gut so, denn die Ausnahmen, wenn sie einmal zum Vorschein kommen, beispielsweise als untere Abgrenzung eines Arschgeweih-Tattoos oder als optische Ergänzung eines sogenannten Maurer-Dekolletés, sind meist wenig erbaulich und sprechen mit Sicherheit für die Sinnhaftigkeit ihres Lebens im Untergrund.

Dabei kann die Unterhose auf eine langjährige Geschichte zurückblicken. Von der Bruoch des Mittelalters, über Großmutters »Liebestöter«, der Gatehose und dem Feinripp (mit und ohne Eingriff) bis zum Stringtanga war es ein weiter Weg. Ich will an dieser Stelle gar nicht weiter ausholen und mir und Ihnen, geschätzte FederLeserinnen und -Leser, zumuten sich auszumalen, wessen diese armen Dinger im Laufe ihrer Geschichte allen ansichtig wurden. Der heutige FederLesen Text soll doch erbaulich sein und der Horizonterweiterung dienen und nicht unappetitlich werden.

Eines haben alle Unterhosen gemeinsam. Sie sind jenes Kleidungsstück, welches am Morgen als erstes an- und Abends als letztes ausgezogen wird. Also – zumindest im Normalfall. Der Zweck der Unterhose ist damit eindeutig definiert und unabhängig vom Schnitt derselben. Vielleicht diente, nachdem sie ausgetragen und zerschlissen aus dem Kleiderschrank aussortiert wurde, die eine oder andere noch eine Zeit lang als Putzfetzen, aber das war es dann auch schon mit ihrem Zweck und Nutzen.

Nicht so unsere lieben Nachbarn, die Nachfahren Wilhelm Tells, die Schweizer, die einen völlig neuen, bis dato unbekannten Unterhosenzweck eröffneten. Sie machten aus der Unterhose ein ganz besonderes Forschungsprojekt. Die Agroscope, ein Schweizer Agrar-Forschungszentrum startete gemeinsam mit der Universität Zürich jüngst ein »Citizen Science Projekt« mit dem schönen Namen »Beweisstück Unterhose«.

Es konnten sich Bauern und Gartenbesitzer bei der Forschungsstelle anmelden um an diesem Projekt mitzuwirken. Sie bekamen dann jeweils zwei Baumwollunterhosen zugesandt, die sie auf ihrem Acker oder in ihrem Garten gemeinsam mit ein paar gebrauchten Teebeuteln vergraben mussten. Ziel des Forschungsprojekt ist es, die Schnelligkeit der Verrottung der Unterhosen festzustellen. Die Teebeutel dienen nur dem Vergleich, da das Verrottungstempo von Teebeuteln – anders als die von Unterhosen – bereits als gut erforscht gilt.

Nach zwei Monaten werden die Unterhosen wieder ausgegraben und an das Institut zurückgeschickt. Die prüfen dann nicht, ab sie noch getragen werden können oder nicht, sondern sie prüfen den Grad der Zersetzung und können daraus Rückschlüsse auf die Bodenqualität ziehen. Je zerfranster und zersetzter sie sind, desto besser, weil eben genug Mikroorganismen die Unterhosen angeknabbert haben. Nachdem man über tausend Probanden aus der gesamten Schweiz ausgewählt hat, bekommt das Institut eine gute Übersicht der Bodenverhältnisse in den verschiedenen Regionen.

Zwei Fragen bleiben für mich dennoch ungeklärt. Warum mussten es ausgerechnet Unterhosen sein und nicht einfach ein Stück Stoff? Der Grund ist vielleicht im speziellen Schweizer Humor zu suchen. Und welchen Einfluss hätte es auf den unterirdischen Zersetzungsprozess gehabt, wären sie vor dem Vergraben von den Probanden ein/zwei/sieben Tage (wahlweise!) getragen worden? So weit wollte man den Forschungsdrang dann anscheinend doch nicht treiben.

2021 04 14/Fritz Herzog