Chicken Farm
Vor wenigen Tagen ist Dusty Hill der Bassist der legendären Rockgruppe ZZ-Top überraschend verstorben. Einer ihrer populärsten Hits trägt den Namen »La Grange«. Ich wusste bis vor Kurzem nicht was »La Grange« bedeutet. Es handelt sich, so weiß ich es heute, um einen kleinen Ort in Texas, etwa in der Mitte zwischen Austin und Houston.
Obwohl es sich bei La Grange um ein Nest mit nicht einmal fünftausend Einwohnern handelt, erreichte es nicht nur durch den Hit von ZZ-Top Berühmtheit, sondern auch durch das Musical und den Film »The Best Little Whorehouse in Texas«, verfilmt mit Dolly Parton (no-na, Dolly Parton! Wir werden gleich erraten wieso ich »no-na« sage) und Burt Reynolds.
Sie vermuten es wahrscheinlich schon, die Chicken Ranch war keine Ranch im herkömmlichen Sinn, sondern schlicht und einfach ein Bordell. Gegründet wurde es in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg von einer Dame namens Jessie Williams. Zur Tarnung des illegalen Bordells züchtete man zu Beginn Hühner; das ist die eine Geschichte der Namensgebung des Etablissements. Die andere stammt aus der Zeit der großen Rezension in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts; da bezahlten viele Kunden mangels Bargeldes mit Hühnern. Es wird mir jetzt niemand von meinen geschätzten FederLeserinnen und -Lesern glauben, aber ich kenn‘ mich da wirklich nicht gut aus, ich denke jedoch, dass ich heutzutage, wenn ich in einem Laufhaus für ein – wie sagt man da? – Fullservice mit Hühnern, seien sie lebend oder in gebratenem Zustand, bezahlen wollte, ich würde sicherlich hochkantig hinausfliegen und schlimmstenfalls noch von einem Kraftprotz eine ordentliche Tracht Prügel als Draufgabe bekommen. Aber damals, in diesen schwierigen Zeiten war das anscheinend möglich.
Als Anfang der 50er Jahre Miss Williams verstarb übernahm eine Dame mit Namen Edna Milton die verantwortungsvolle Aufgabe als Puffmutter. Da Prostitution in Texas verboten war, musste sie sich mit der örtlichen Polizei und den Bürgern der Umgebung gut stellen. So erhielt der örtliche Sheriff im Gegenzug dafür, dass er beide Augen zudrückt, regelmäßig Tipps über Kriminelle, die bei Ihren Besuchen auf der Chicken Farm mit ihren Taten geprahlt hatten. Angeblich existierte sogar eine direkte Telefonverbindung zwischen der Chicken Farm und des Sheriffs Office. Ob der Sheriff selbst gelegentliche, ääh, … Kontrollbesuche auf der Farm vornahm und Miss Edna auf die entsprechende Bezahlung verzichtete, ist nicht bekannt – Diskretion ist schließlich alles in dem Geschäft. Die Einkäufe erledigte Miss Edna ausschließlich in Läden der näheren Umgebung und hielt sich damit wiederum die Kaufleute bei der Stange. Ich weiß nicht, ob man in diesem Zusammenhang die Metapher »eine Hand wäscht die andere« korrekt gebrauchen kann – ich tu es halt.
Wenn man dem englischen Klatschmedium Daily Mail Glauben schenken kann, war der aus Texas stammende amerikanische Präsident Lyndon B. Johnson der berühmteste Gast auf der Chicken Farm. Sein Liebling dort war eine gewisse Penny, mit der er den Stress seines Präsidentenjobs abbaute. So soll diese Penny später einmal über ihn gesagt haben: »Der Typ hatte so viel im Kopf und auf seinem Teller, er musste sich einfach von all dem trennen… you know what I’m saying?«
Doch auch der prominenteste Gast des Hauses half nichts als ein moralisierender Journalist so lange medial gegen das Bordell hetzte, bis Miss Edna resignierte und die Chicken Farm in den 70er Jahren schloss. Was blieb, ist heute nur mehr eine verfallene Ruine bei La Grange in Texas und natürlich das Gitarrenriff von ZZ-Tops »La Grange«. Meinen geschätzten FederLeserinnen und -Lesern wünsche ich mit der Textzeile »Well, I hear it’s fine, if you got the time« aus dem Song ein entspanntes Wochenende, wo und wie auch immer Sie es verbringen.
2021 08 07/Fritz Herzog