In vino veritas
Der oft und gerne bei jeder sich bietenden Gelegenheit hervorgekramte Satz »in vino veritas«, der übersetzt sinngemäß bedeutet, dass »im Wein die Wahrheit liege« wird zwar Erasmus von Rotterdam zugeschrieben, wurde aber schon viel früher vom römischen Historiker Tacitus verwendet. Letzterer berichtet uns auch, dass die alten Germanen in ihren Ratssitzungen Wein tranken, weil sie der Meinung waren, dass in betrunkenem Zustand niemand zu lügen imstande sei. Ob man diesen Tipp heute in unseren Parlamenten, Landtagen und Gemeinderäten anwenden könnte – naja, ich hege Zweifel, dass dies funktionieren würde, aber die Theorie hat zumindest Witz.
Wahrheit hin, Lügen her, berauschende Substanzen und insbesondere alkoholische Getränke spielen seit jeher in fast allen Kulturen und Religionen eine wesentliche Rolle. Daraus könnte man leicht den Schluss ziehen, dass mit der Entwicklung der Kulturen auch die Entwicklung des Alkohols einher ging..
Anders sieht dies der Philosophieprofessor Edward Slingerland von der Columbia University: Nicht die Kultur brachte den Alkohol, sondern konträr unsere Kultur verdanken wir dem Alkohol (bitte jetzt nicht sagen »so sieht unsere Kultur auch aus!«) Das alles mag vielleicht klingen wie die berühmte Frage was denn zuerst dagewesen sei, die Henne oder das Ei, aber Slingerland versucht seine These auch zu begründen.
So meint er, dass der Alkohol jene menschliche Kreativität fördere ohne die über die letzten Jahrtausende hinweg unsere Kultur, wie wir sie heute kennen, nicht hätte aufgebaut werden können. Um an dieser Stelle von Antialkoholikern und Prohibitionsfreunden nicht missverstanden zu werden, selbstverständlich verweist er in seinem Buch »Drunk«, aus dem ich den heutigen FederLesen-Beitrag entnehme, auch auf die Gefahren des Missbrauchs und der gesundheitlichen und gesellschaftlichen Probleme hin, die übermäßiger Konsum zur Folge haben kann. Aber darum soll es hier nicht gehen.
Als kleines praktisches Beispiel für seine These führt er an, dass, als in der Nähe seines Uni-Campus‘ eine Kneipe (übersetzt: »Beisl«) eröffnet wurde, wo sich Studenten und Professoren bei dem einen oder anderen Glas treffen konnten, dass dort die kreativsten Ideen entstanden seien. Ideen, die in Hörsälen oder Instituten nie und nimmer entstanden wären. Ideen, aus denen in weiterer Folge große, mit Auszeichnungen versehene Projekte hervorgegangen sind.
Und, ehrlich, sind nicht tatsächlich bekennende Trinker oft sehr erfolgreiche und geschätzte Vertreter ihrer jeweiligen Zünfte? Sei es in Kunst und Kultur, Wissenschaft oder Politik. Von einem Leopold Figl, der, so die Legende, Anno 1955 die Russen in Moskau so lange unter den Tisch gesoffen hat, bis sie dem Staatsvertrag zugestimmt hatten bis hin zu einem Bürgermeister, der den Spritzwein liebte reichen die Beispiele. Selbst einem Goethe sagt man nach, dass er täglich drei Flaschen Frankenwein getrunken hätte. Nullkommadrei Promille führten, so entnehme ich einer anderen Studie, zwar zu einer Verschlechterung der Gedächtnisleistung, erhöhten aber gleichzeitig die kreative Problemlösungskompetenz. Na bitte! Was will man mehr?
Natürlich immer alles in Maßen! Eh klar! Bei all der Kreativität kann man es leider auch übertreiben. Von Edgar Allen Poe über Ernest Hemingway bis Amy Winehouse haben es schließlich viele mit der Kreativitätszufuhr auch übertrieben. Wie meinte schon der oben erwähnte Goethe lange vor Slingerland: »Es liegen im Wein produktivmachende Kräfte«. Nutzen wir sie – in diesem Sinnen wünsche ich Ihnen, meine geschätzten FederLeserinnen- und Leser ein herzhaftes »Prost!«, »Cheers!«, »Tchin Tchin !«, »Saluti !«, »Vashe Zdorov’ye!« und jede Menge kreative Ideen.
2021 10 01/Fritz Herzog