FederLesen

Schweizer Liebesbriefe

Man sagt den Schweizern ja alles Mögliche nach, Humor und Sinn für Romantik gehören sicher nicht dazu. Ein böser Wiener Witz besagt, dass Zürich zwar doppelt so groß, aber nur halb so lustig wie der Wiener Zentralfriedhof sei und die Schweizer Kabarettistin Hazel Brugger wiederum meint die Schweizer haben keinen Humor, sie haben Geld und applaudierten schriftlich – später dann, nach ihren Auftritten.

Nun, ich will an dieser Stelle nicht weiter irgendwelche Klischees über unsere Nachbarn bedienen und mich einer Schweizer Institution zuwenden, die in ungeahnter Weise die romantische Ader der Eidgenossen zutage bringt.

Die Sprachwissenschafterinnen Andrea Rapp und Eva Lia Wyss von der Universität Koblenz erforschen die – wie soll man sagen? – Literaturform der Liebesbriefe. Dass Liebesbriefe meist nicht hohen literarischen Ansprüchen genügen ist wohl jedem und jeder klar, die selbst einmal Liebesbriefe verfasst oder bekommen hat. Wer ist schon ein Goethe, Rilke oder Stefan Zweig? Aber die habe ich auch in Verdacht, dass sie ihre Liebesbriefe in dem Bewusstsein geschrieben haben, dass sie auch die Nachwelt zu lesen bekommt, was bei »normalen« Liebesbriefen eher nicht der Fall, im Gegenteil, sogar unerwünscht ist.

Wenn ihr FederLesen-Autor an seine eigenen vor fünfzig Jahren an seine damalige große Liebe Ilse aus dem Ruhrpott-Städtchen Duisburg verfassten denkt, so kann ich nur hoffen, dass diese bei ihr heute ebenso wenig mehr existieren wie jene, die sie mir damals geschrieben hat. Ich tät‘ mich wahrscheinlich genieren für das damals verfasste Schmalz. Den beiden Forscherinnen kann ich sie deshalb nicht mehr für ihre Zwecke zur Verfügung stellen. Gäbe es sie noch, ich hätte es glatt getan.

Diese verfügen mittlerweile über eine Sammlung von über zwanzigtausend Liebesbriefen. Und so erforschen sie nicht nur die sprachlichen Veränderungen im Laufe der Zeit, sondern auch die verwendeten Kosenamen. »Schatz« oder »Liebling« klingen da fast schon ein wenig abgedroschen und die Ausflüge in die Tierwelt so à la »Mausi« oder »Bärli« sind seit der inflationistischen Verwendung durch einen österreichischen Baumeister, Einkaufszentrumsbesitzer und Opernball-Aficionado für seine diversen Lebensabschnittspartnerinnen etwas in Verruf geraten. Aber geben tut es die Kosenamen aus der Fauna immer noch.

Auch die Kulinarik kommt bei den Kosewörtern nicht zu kurz, hier geht es jedoch eher in Richtung der Süßspeisen, also mehr so in Richtung »Zuckersüße« oder Ähnlichem. Ist ja auch verständlich – »Essiggurkerl« wäre doch wirklich unpassend und »scharfer Pfefferoni« wahrscheinlich zu aufdringlich.

Doch auch die äußere Form der Liebesbriefe hat sich im Laufe der Zeit verändert. Vom am Schulhof zugesteckten Briefchen über seitenlange elegische Abhandlungen des Schmachtens bis hin zu SMS, Mail oder sonstiger Nachrichtendienste spannt sich der Bogen der Verschriftlichung der Zuneigung, der Liebe und der Sehnsucht nach der oder dem (fernen) Liebsten. Und manch einer wird sich wohl auch schon gedacht haben, dass, wenn der Ehepartner die Briefe an den oder die Verflossenen entdeckt, dass »ein Schriftl ein Giftl« sei.

Und, geschätzte FederLeserinnen und -Leser, besitzen Sie noch, vielleicht fein säuberlich verschnürt, in einem alten Schuhkarton verpackt und in einem hintersten Winkel am Dachboden oder im Keller verstaut Ihre Liebesbriefe aus vergangener Zeit? Oder schreiben Sie gar noch heute welche? Die beiden Forscherinnen aus Konstanz, so erzählen sie in einem Interview mit dem deutschen Spiegel, freuen sich nach wie vor über jede Erweiterung ihres Archivs. Was macht man nicht alles um sich der Vergangenheit zu entledigen und noch dazu zum Wohle der Wissenschaft?

 2021 07 08/Fritz Herzog

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