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FederLesen

Javier Marías: »Berta Isla« und »Tomàs Nevinson«

Der heuer im Herbst verstorbene spanische Romancier und Erzähler, dem wir so großartige Werke wie »Mein Herz so weiß«, »Die sterblich Verliebten« oder »So fängt das Schlimme an« verdanken, hat gegen Ende seines Lebens mit »Berta Isla« und »Tomàs Nevinson« noch zwei wunderbare lesenswerte Romane verfasst. Diese beiden möchte ich heute meinen geschätzten FederLeserinnen und -Lesern vorstellen und vielleicht auch ein wenig Gusto auf die weiteren Romane und Erzählungen dieses Autors machen.

»Tomàs Nevinson« ist, wie der Autor im Nachwort selbst schreibt »nicht wirklich eine Fortsetzung» von »Berta Isla«, sie bilden jedoch, so weiter seine Worte, »ein Paar«. Beide Romane haben eine in sich völlig abgeschlossene Handlung, bilden jedoch insofern ein Paar, als Berta Isla die Jugendliebe und spätere Ehefrau von Tomàs Nevinson ist. Das eine Buch handelt eben mehr von ihr und ihrer Sicht, das andere mehrheitlich von ihm und seiner Geschichte.

Tomàs, halb Spanier, halb Engländer hat ein besonderes Talent für Sprachen und auch im Nachmachen von Stimmen und unterschiedlichen Dialekten. Ein Talent, das sein ganzes Leben bestimmen soll. Am Ende seines Studiums in Oxford wird er über Vermittlung eines seiner Lehrer im Wege einer Erpressung – er soll seine Oxforder Geliebte ermordet haben – vom englischen Geheimdienst angeworben. Um einer Anklage zu entgehen stimmt er zu.

Zurück in Madrid heiratet er seine Jugendliebe Berta Isla, doch sie bemerkt bald, dass er nicht mehr der ist, den sie von Jugend her kannte. Sie bekommen einen Sohn, später noch eine Tochter. Tomás wir immer wieder zu Einsätzen nach London gerufen. Da gerade der Falkland-Krieg tobt vermutet ihn Berta in Argentinien. Doch auch der Konflikt in Nordirland spielt eine Rolle. Nie weiß sie wo er ist, was er tut, wie lange er bleibt und er ist verpflichtet auch ihr gegenüber schweigen.

Als eines Tages ein unbekanntes Paar während seiner Abwesenheit bei ihr auftaucht und ihr neugeborenes Kind bedroht, wird auch sie in seine Tätigkeit hineingezogen. Nach einem ungewöhnlich langen Auslandsaufenthalt besucht sie sein Vorgesetzter und erklärt ihr, wenn auch zunächst verklausuliert, dass Tomàs tot sei.

Diese Jahre im Wanken zwischen Gewissheit und Ungewissheit bilden den Hauptteil des ersten Buches »Berta Isla«. Als er überraschend nach vielen Jahren zurück kehrt ist er ein gebrochener Mann und meint endlich aus dem Geheimdienst entlassen worden zu sein.

Im zweiten Buch wird er, Jahre später, noch einmal von seinem Vorgesetzten besucht und erhält einen neuen Auftrag. Drei Frauen leben in einer Stadt im Baskenland im Norden Spaniens. Eine der drei sei eine untergetauchte Terroristin der baskischen Untergrundorganisation ETA, die zahllose Menschenleben auf dem Gewissen hat und er soll herausfinden welche der drei es ist, sie überführen und vor Gericht bringen und, wenn das nicht möglich ist, töten. Von dieser Suche nach der Terroristin handelt das zweite Buch »Tomàs Nevinson«.

Soviel, kurz gesagt, zu den Handlungen der beiden Bücher. Doch es wäre nicht Javier Marías, würde er bei einem schlichten Agententhriller stehen bleiben. Die Romane sind angefüllt mit zahllosen Zitaten und Bezugnahmen auf Werke von Shakespeare, Baudelaire, William Butler Yeats, Alexandre Dumas um nur einige zu nennen. Besonders beschäftigt ihn die vom polnisch-deutschen Autor Reck-Malleczewen (1884-1945) aufgeworfene Frage ob es möglich (und gerechtfertigt!) gewesen wäre Hitler in den 20er Jahren zu töten. Einerseits im damaligen Nichtwissen was kommt und andererseits, was der Welt damit erspart geblieben wäre; die ewige Frage der Rechtfertigung des Tyrannenmordes, diesfalls bevor der Tyrann noch zum Tyrannen wird.

Beide Romane kann ich für Freunde großer Erzählungen (jeder so 500 bis 600 Seiten!), die auch eine gewisse Spannung zu schätzen wissen nur empfehlen. Auch wenn es zwei in sich abgeschlossene Romane sind, empfehle ich jedenfalls mit »Berta Isla« zu beginnen.

2022 11 13/Fritz Herzog