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FederLesen

Das große Storchen-Derby

Unter normalen (was ist schon normal?) Verhältnissen ist das Verfassen eines Testaments keine große Sache: Partner und Kinder erfreuen sich am mehr oder weniger üppigem Hinterlassenen. Was jedoch, wenn entweder keine solchen vorhanden sind oder der Erblasser irgendjemand posthum noch ärgern oder sonstigen Unfug treiben will?

In der Geschichte gibt es da eine Reihe von Beispielen, über die ich Ihnen, meine geschätzten FederLeserinnen und -Leser, heute erzählen will. Ärgern wollten beispielsweise so Dichtergrößen wie Shakespeare oder Heinrich Heine ihre Ehefrauen. Shakespeare, weil er seiner Frau ausdrücklich nur das »zweitbeste« Bett hinterlassen haben soll und Heinrich Heines Witwe sollte nur unter der Bedingung erben, dass sie wieder heirate, damit es, so schrieb er angeblich in sein Testament, »wenigstens einen Mann gibt, der meinen Tod bedauert«. Naja, wahre Liebe sieht anders aus.

Das Testament des Argentiniers Juan Potomachi war hingegen eher makabrer Natur. Er vermachte dem Teatro Dramatico in Buenos Aires einen größeren Geldbetrag unter der Bedingung, dass dort sein Totenschädel bei allen künftigen Hamlet Aufführungen Verwendung fände. Ob das Theater das Vermächtnis annahm oder schlicht und einfach nie mehr Hamlet auf den Spielplan setzte, konnte ich nicht herausfinden.

Ein besonderes Scherzkeks war der kanadische Unternehmer und Anwalt Charles Vance Millar. Der gute Mann war nie verheiratet und als ihn 1926 das Zeitliche segnete hinterließ er ein höchst seltsames Testament.

So vermachte er sein Haus auf Jamaica drei Anwaltskollegen, die sich partout nicht leiden konnten. Sollte einer der drei seinen Anteil verkaufen, so sei das Geld unter den Armen von Jamaica zu verteilen. Puritanischen Priestern wiederum, die sich für die Prohibition einsetzten, hinterließ er Anteile an einer Brauerei und einem Priester, der Pferdewetten verteufelte, eine Beteiligung an einer Pferde-Rennbahn.

Wirklich bekannt wurde Mr. Millar jedoch mit der abschließenden Bedingung. So sollte den Rest seines Vermögens jene Frau aus Toronto erhalten, die in den zehn Jahren nach seinem Tod die meisten Kinder zur Welt bringt. Ob er damit das Wachstum der Stadt oder schlicht und einfach die sexuelle Aktivität der Torontoer Bevölkerung erhöhen wollte, ist unbekannt.

Jedenfalls entwickelte sich nach Bekanntwerden des Testaments ein Rennen (kann man es Rennen nennen?), das unter dem Namen »The Great Stork Derby« (Das große Storchen-Derby) in die Geschichte einging. Und in der Tat hatte der Storch – oder wer auch immer die Kinder bringt – in den folgenden Jahren eine Menge zu tun.

Das Testament wurde mehrfach angefochten, jedoch entschied letztlich ein Gericht, dass es Gültigkeit habe. Allerdings mit der Einschränkung – Moral muss sein! – dass nur ehelich gezeugte Kinder für das Storchenderby gültig herangezogen werden dürfen. Wie viele Teilnehmerinnen deshalb ausgeschieden sind ist nicht bekannt.

Letztlich gab es vier gültige Siegerinnen, die innerhalb der zehn Jahre immerhin je neun Kinder zur Welt gebracht hatten – alle brav ehelich, wie sich’s gehört. Jede erhielt 125.000 kanadische Dollar, was nach heutigem Geld etwa 1,5 Millionen Euro entspricht. Ob das Geld den Aufwand der Erbinnen wert war? Ob seine Absicht mehr Kinder in die Welt zu setzen aufgegangen ist? Nun, ja, zeitgenössische Zeitungen berichten von angeblich 120 Kindern die dem Großen Storchen-Derby entsprungen sind. Dass Toronto heute drei Millionen Einwohner hat lässt sich darauf aber sicher nicht zurückführen.

Hoffentlich habe ich mit meinem heutigen Beitrag niemand auf blöde testamentarische Ideen gebracht. Ich für mein Teil werde jedenfalls an meinen Nachlass keine Kopulationsbedingungen oder sonstwas knüpfen.

2023 01 08/Fritz Herzog