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FederLesen

Auf den Hund gekommen

Vielleicht kennen Sie das ja: Man ist mit der Familie auf Urlaub und alle sind entspannt durch diese Mischung aus südlicher Sonne, Strand und Vino Rosso (wahlweise kann es auch Ouzo, Aperol Spritz oder Tequila sein). Und dann spielen da am Strand und in den idyllischsten mediterranen Gässchen zahllose junge Kätzchen (die Kinder finden sie sooooo süß) oder streunende Hund (die Kinder finden sie sooooo arm). Was liegt da näher als die kindliche Forderung eines dieser Tiere – wahlweise: süß oder arm! – aus seiner vermeintlichen Not zu retten und mit nach Hause zu nehmen um endlich das sehnlichst gewünschte Haustier zu besitzen.

Mama und Papa, antiautoritär von der Generation Ihres FederLesen-Autors domestiziert, fehlt im Wortschatz das schöne deutsche Wort »Nein« und schon übersiedelt eines dieser Viecher heim in nördlichere Gefilde. Das hochheilige Versprechen zu hundert Prozent für das neue Haustier zu sorgen endet regelmäßig spätestens in Spielfeld, bei Tarvis oder am Brenner.

So eine ähnliche Erfahrung machte auch die chinesische Familie Su aus der Stadt Kunming in der Provinz Yunnan. Vor etwa zwei Jahren nahmen sie einen süßen kleinen Welpen mit nach Hause. Es sollte eine sogenannte Tibetanische Dogge sein; »Little Black« nannten sie ihn (»Kleiner Schwarzer« auf Deutsch und auf Chinesisch: »小黑« oder »Xiǎo hēi« – ich geb‘ ja zu den Google-Übersetzer bemüht zu haben).

Das ehemals süße Tierchen wuchs heran, wurde größer und größer und verschlang tagtäglich größere Mengen Futter. Selbst dass er vorzugsweise Früchte und Nudeln fraß – von letzteren täglich zwei Eimer voll – machte die Familie Su noch nicht stutzig. Anscheinend bellte der Hund auch nicht.

An dieser Stelle muss ich einen kleinen hündischen Fremdsprachenexkurs einfügen: Bei uns bellen Hunde lautmalerisch bekanntlich »Wau-Wau« auf Englisch jedoch »Bow-Wow«, auf Französisch »Ouaf-Ouaf«, auf Spanisch »Guau-Guau« usw. Man sieht, auch die Hundesprache ist nicht einheitlich und deshalb bellen die Hunde in China eben »Wāng-Wāng; zumindest sofern die Hunde Mandarin, die chinesische Hochsprache sprechen, ääh, bellen.

Doch zurück zur Familie Su aus Yunnan und ihrem Hündchen. Es mussten zwei Jahre ins Land ziehen bis es langsam dämmerte, dass es sich bei dem Hund der nicht bellte und der vorzugsweise Früchte und Nudeln verzehrte, nicht um die versprochene Tibetanische Dogge handelte. Es waren nicht die zweihundert Kilo Lebendgewicht und auch nicht die Schulterhöhe von einem Meter die die Familie Su stutzig machten, es war die Tatsache, dass das liebe Tier sich gerne auf die zwei Hinterpfoten stellte und so mehr einem Bären als einem Hund ähnelte.

Als sich (nochmals: zwei Jahre waren inzwischen vergangen!) die Gewissheit einstellte, dass man ihnen mit der Dogge einen Bären aufgebunden hatte und es demgemäß ein solcher auch war, pilgerte die Familie schuldbewusst zur Polizei und zum örtlichen Forstamt und beichtete ihr Missverständnis. Sie hielten einen ohnehin vom Aussterben bedrohten asiatischen Schwarzbären zwei Jahre lang als Haustier.

Ende gut, alles gut, heute lebt der Bär gesund und hoffentlich auch glücklich im »Yunnan Wildlife Rescue Center«, hat seine hündische Vergangenheit hinter sich gelassen und erfreut sich seines bärigen Lebens.

Und die Moral von der Geschicht‘, meine geschätzten FederLeserinnen und Leser: keinen sooooo armen Welpen aus dem Urlaub mitnehmen, es könnte ein Bär sein und auch kein sooooo süßes Kätzchen, es könnte sich herausstellen, dass es ein Löwe ist. Ehrlich, wollen Sie das in Ihrem Wohnzimmer?

2023 03 07/Fritz Herzog