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FederLesen

Leonardo Padura: Wie Staub im Wind

Bekannt wurde der kubanische Autor Leonardo Padura mit seinen Kriminalromanen rund um die Figur des Teniente Mario Conde, von denen die bekanntesten unter dem Sammelbegriff »Havanna Quartett« veröffentlicht wurden. Padura hat sich aber in den letzten Jahren literarisch weit über die Krimi-Szene hinaus entwickelt. »Der Mann der Hunde liebte«, ein Buch über die Geschichte von Leo Trotzki und seinem Mörder oder »Ketzer«, eine sich über mehrere Jahrhunderte hinziehende jüdische Familiengeschichte mit der ewigen Frage Glaube vs. Ketzerei, seien hier nur beispielhaft erwähnt; allesamt jedenfalls außerordentlich lesenswert.

Federlesen empfiehlt aber heute sein jüngst auch auf Deutsch erschienenes Buch »Wie Staub im Wind«, die Geschichte eines Freundeskreises aus Kuba, der sich im Lauf der Handlung in alle Welt ins Exil verstreut, während einige in Kuba zurückbleiben.

Adele, die mit ihrer Mutter als noch ungeborenes Baby aus Kuba in die USA geflüchtet ist, lernt Jahre später Marcos, einen eben erst geflüchteten Kubaner in Miami kennen und lieben. Adeles Mutter lebt im Westen der USA auf einer Pferderanch, will nichts mehr von Kuba und der Vergangenheit wissen und steht in ewigem Streit mit ihrer Tochter, weil diese in Florida in der kubanischen Community lebt. Adeles Vater – oder darf ich an dieser Stelle schon verraten: vermeintlicher Vater? – lebt in New York.

Als Marcos Mutter, die in der Nähe von Havanna auf Kuba lebt, auf Facebook ein Foto des Freundeskreises aus vergangenen Tagen postet, erkennt Adele darauf auch ihre Mutter. Wer war diese Frau auf diesem Foto? Anderer Name, aber eindeutig ihre Mutter?

Der Freundeskreis, oder auch der Clan, wie sie sich selbst nennen, lebt und leidet und feiert in den 80er und 90er Jahren auf Kuba, als nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die Unterstützungen von dort ausgeblieben sind und große wirtschaftliche Not herrscht. Als binnen weniger Tage ein Mitglied des Clans unter mysteriösen Umständen Selbstmord begeht und Adeles Mutter, schwanger und ohne sich zu verabschieden sang- und klanglos verschwindet, zerbricht der Clan Stück für Stück.

Die Handlung des Romans teilt sich in zwei Teile. Zum einen geht es um das Leben des Clans in den schwierigen Zeiten der Wende in Kuba und zum anderen, um das Leben der in alle Welt verstreuten, geflüchteten Clanmitglieder. Madrid, Barcelona, Toulouse, Porto Rico und selbstverständlich die USA dienen als Schauplätze.

Wie die Geschichte endet und wie die Suche Adeles nach ihrem wahren Vater ausgeht, sei hier nicht verraten. Das besondere an dem Roman waren für mich aber auch die Hintergründe. Das Leben in Kuba, als dort tatsächlich eine Hungersnot wegen der ausbleibenden sowjetischen Unterstützungen ausgebrochen ist, die langsame Besserung der Situation in den Nuller- und Zehnerjahren dieses Jahrhunderts, die teilweisen abenteuerlichen Fluchtversuche aus Kuba und das Leben der Kubaner im Exil und wie diese mit ihrem neuen Leben umgehen.

Leonardo Padura ist mit »Wie Staub im Wind« ein, wie ich meine, großartiger Roman mit einem uns Europäern oft zu wenig bekanntem Stück Zeitgeschichte, verpackt in eine Erzählung über einen fiktiven Freundeskreis gelungen. Verwunderlich ist auch, dass Padura, der sich so kritisch mit der Castro-Diktatur auseinandersetzt, nach wie vor auf Kuba lebt. Ich denke, wir dürfen von ihm noch so manchen weiteren großen Roman erwarten.

2022 06 24/Fritz Herzog