FederLesen

Die Kunst des Zauderns

Sie kennen sicher auch so vermeintlich kluge Sprüche wie »Zeit ist Geld« oder, etwas humoristischer, »Der frühe Vogel fängt den Wurm« und dergleichen Weisheiten mehr, die uns einzureden versuchen möglichst schnell alles zu entscheiden, zu tun und zu erledigen. Wir kennen das aus der Politik und noch viel mehr aus der Wirtschaft. Nachdenken, Zögern, Zaudern war gestern.

Heute gilt: »speed kills!« Den Spruch mag ich besonders, denn man kann ihn bei genauerer Betrachtung auch anders herum auslegen, haben doch schon so manche schnelle Management-Entscheidungen mit hohem »speed« direkt zum Konkursrichter geführt und somit nicht wie beabsichtigt den Mitbewerber, sondern das eigene Unternehmen ge»killt«. Sozusagen »Speed kills« im wahrsten Sinn des Wortes!

Hatten unsere Urgroßeltern noch Angst vor der Geschwindigkeit der Dampflokomotive, so denken wir, respektive die uns den Takt vorgebende Elektronik, heute in Nanosekunden. Glauben wir zumindest. Ein kluger Mann hat einmal den nicht ganz ernst gemeinten Satz geprägt »eine Fehlentscheidung auf Anhieb spart wenigstens Zeit«. Ein bissl hat der Mann da auch recht, denn ein ewiges Herumgenudel in Meetings und Konferenzen mit Kolleginnen und Kollegen der Kategorie Hinsichtl und Rücksichtl ist auch nicht der Weisheit letzter Schluss und keine Garantie für richtige Entscheidungen. Oft genug im Gegenteil!

Trotzdem will Ihr FederLesen-Autor heute eine Hommage auf das Zaudern und Zögern halten. »Zu zögern bedeutet, den unreflektierten Fluss gewohnheitsmäßigen Handelns zu unterbrechen, das System zu stören« lese ich in einem Essay der Hamburger Wissenschaftlerin Alice Lagaay. Ich weiß, das klang jetzt ein wenig geschwollen, aber da ist schon was dran. Das System stören hört sich zwar zunächst einmal gar nicht gut an, denn wer will denn schon ein Störenfried sein?

Aber »zuerst Denken, dann reden« versucht man doch schon den Kindern beizubringen – mit mäßigem Erfolg, wie sich später im Erwachsenenalter meist herausstellt. Zuerst auf den Allerwertesten setzen, durchatmen, nachdenken und dann – vielleicht – zum Tun zu kommen. Das wär‘ doch einmal was – oder?

Lucky Luke zieht schneller als sein Schatten und nur John Wayne schießt aus der Hüfte, doch leider spielt’s das in der Wirklichkeit nicht. Der Wirklichkeit kommt das ur-wienerische »schauma moi, daun sehn’ma schon« viel näher, weil es Zeit schafft zum Nachdenken, Betrachten, Alternativen suchen. Bedächtigkeit kommt von bedenken!

Also bitte: »nur net hudeln«. Ich weiß schon, ein Rentner, wie Ihr FederLesen-Autor einer ist, hat da leicht von der Langsamkeit, dem Zaudern und Zögern zu reden. Es tut aber meistens gut, den Turbo ein wenig zurück zu schalten. Ich schalte jetzt auch ein wenig zurück und verabschiede mich für ein Weilchen von meinen geschätzten FederLeserinnen und -Lesern in Richtung Attersee und freue mich schon auf ein Wieder-FederLesen. Dann sicher wieder mit etwas Heitererem und weniger Nachdenklichem als heute. Versprochen!

2021 06 11/Fritz Herzog

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