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FederLesen

Maaza Mengiste: Der Schattenkönig

FederLesen hat versprochen regelmäßig an dieser Stelle auch Buchempfehlungen abzugeben, hat dieses Versprechen aber in letzter Zeit sträflich vernachlässigt. Höchste Zeit also nach über einem halben Jahr ein aus meiner Sicht lesenswertes Buch auf den Altar des FederLesens zu heben. Ehrlich, was ist denn schon die Nominierung für den Booker-Prize gegen eine Besprechung auf FederLesen?

Jetzt aber ernsthaft! Über Maaza Mengiste, eine aus Äthiopien stammende und heute in den USA lebende Autorin habe ich mit ihrem Buch »Unter den Augen des Löwen« hier vor einiger Zeit schon berichtet. Handelte dieses Buch, grob gesagt, vom Untergang des Königreiches Äthiopien durch ein kommunistisches Regime im Jahr 1975 so geht es in ihrem letzten Roman »Der Schattenkönig« um den Sturz Kaiser Haile Selassies im Jahr 1935/36 durch die Invasion italienischer Truppen unter Mussolini.

Zwei Figuren prägen diesen Roman. Da ist einmal Hirut, ein Waisenmädchen, dass in den Diensten von Kidane, einem Oberst der äthiopischen Armee und dessen Frau Aster steht. Als die Italiener im Land einmarschieren und es besetzen, geht Kidane mit seiner Frau und Hirut in den Untergrund und bekämpft im Guerillastil die Italiener. Je grausamer die Italiener unter der Bevölkerung und den Untergrundkämpfern wüten umso mehr schweißt es die beiden Frauen und Soldatinnen Hirut und Aster zusammen. Schließlich werden die beiden von den Italienern gefangen genommen und als Geisel gehalten. Doch sie verraten Kidanes Versteck nicht.

Die zweite Hauptfigur des Romans ist der italienische Armeefotograf Ettore Navarra. Er ist von seinem Oberst angehalten sämtliche grausamen Hinrichtungen und Morde durch seine Truppen fotografisch zu dokumentieren. Ich will an dieser Stelle gar nicht alles aufzählen, muss aber meine geschätzten FederLeserinnen und -Leser darauf hinweisen, dass die Lektüre dieses Romans stellenweise nichts für schwache Nerven ist.

Doch auch Ettore hat ein Problem – er ist Jude. Als Mussolini veranlasst, dass alle Juden in der Armee zuerst erfasst und in weiterer Folge diese verlassen und mit ungewisser Zukunft nach Italien zurückkehren müssen, beginnen seine Zweifel. Ein wenig kann ihm zunächst noch sein ansonsten zu jeder Grausamkeit bereiter Vorgesetzter helfen, doch dann …

Konträr zu den Verrissen der professionellen Literaturkritiker, die in dem Buch einen kitschig-feministischen Frauen-Soldaten-kämpfen-heldenhaft-Roman sehen, sehe ich gerade im Wechselspiel zwischen den beiden Frauen Hirut und Aster einerseits und dem Fotografen Ettore andererseits die Stärke des Werkes. Trotzdem Hirut ihn verachtet, vertraut er ihr den Schatz seiner Erinnerungen an. Ja, vielleicht ist es ein wenig kitschig, ich finde aber die Parabel des Vertrauens trotz Verachtung auch berührend.

Achja, warum heißt das Buch »Der Schattenkönig«? Eine Nebenfigur des Romans ist ein dem Kaiser Haile Selassie zum Verwechseln ähnlich aussehender Mann. Während der wahre Kaiser im Exil in England weilt, vermittelt dieser Doppelgänger den Äthiopiern, dass ihr Kaiser doch noch unter ihnen ist und mit ihnen leidet und kämpft. Das alles dient der Motivation der Äthiopier bei gleichzeitiger Verwirrung der Italiener. Wenn es also eine Schwäche des Romans gibt, dann ist es die, dass eine Nebenfigur titelgebend ist. Warum Mengiste das machte, erschloss sich mir nicht.

Für mich ist Maaza Mengiste mit »Der Schattenkönig« ein lesenswerter historischer Roman gelungen, der mich einiges über Äthiopien, den Kolonialismus und den italienischen Faschismus unter Mussolini lehrte.

2022 01 14/Fritz Herzog