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FederLesen

Prokrastination, Prokrustes Bett und der Konjunktiv

Bestellt man hierzulande im Wirtshaus ein Bier, so sagt man dem Kellner, der sich gelegentlich noch Ober nennt, »könnt‘ ich ein Bier haben«, vielleicht hängt man noch, abhängig von Laune und Kinderstube, ein schüchternes «Bitte« an. Das soll uns aber an dieser Stelle nicht weiter kümmern, mir geht es heute um das »könnt‘«, also »könnte«. Dieses, da Konjunktiv, schließt damit auch die Möglichkeit mit ein, dass der Kellner das Ersuchen ablehnen kann. Jenseits des Inns in unserem Lieblingsnachbarland fiele niemand ein, Bestellungen in der Möglichkeitsform abzugeben, dort klänge (schon wieder ein Konjunktiv!) es eher so: »Noch’n Bier!«, also mehr Imperativ, was den Kellner keine Sekunde am Wunsch zweifeln ließe.

So viel zum Konjunktiv. Ist besagter Kellner schlechter Laune und, so wie Ihr FederLesen-Autor, begnadeter Prokrastinierer, also ein Vorsichherschieber, wird er das Service des Biers auf Irgendwann oder Sankt Nimmerlein verschieben. Wird der Gast sich in weiterer Folge grantelnd über das fehlende Bier beschweren, so geschieht in Wahrheit dem Kellner damit himmlisches Unrecht, da der Gast ja nur die Möglichkeit einer Bestellung in den Raum gestellt hat und keinen fixen Auftrag. Sprache ist in der Tat oft unverständlich!

Aber seien Sie ehrlich, meine geschätzten FederLeserinnen und -Leser, wer zieht es nicht wie der erwähnte Kellner vor, manche Sachen in die Länge und vor sich her zu schieben, auf morgen oder irgendwann. »Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen« passt vielleicht als Sinnspruch in ein Poesiealbum (gibt es die heute noch?). Mit der Realität hat es wenig bis garnix zu tun. Aber vielleicht schließ ich da wieder einmal von mir auf andere und ich tu dem Rest der Menschheit unrecht.

Auf völlig andere Art in die Länge gezogen wird man hingegen in Prokrustes Bett. Die griechische Mythologie kennt den Prokrustes. Er war Unhold und Wegelagerer von Beruf, aber auch Halbgott, da ein Sohn Poseidons (Sie wissen schon, der im Meer mit dem Dreizack und so) und allgemein kein besonders netter Geselle. Er legte gerne vorbeiziehende Wanderer in sein Bett. So weit, so freundlich. Waren sie jedoch dafür zu kurz, streckte er sie gerne so lange, bis sie in sein Bett passten. Umgekehrt, waren sie zu lang für sein Bett, stutzte er sie auf das Bettmaß zurecht. Beides unerquicklich und ohne Konjunktiv und ohne zu prokrastinieren; also »hic et nunc« wie es früher einmal hieß oder – im zeitgemäßen Neusprech: »asap«.

Und weil Sommer ist, Sie vielleicht in Griechenland Urlaub machen und ergo aufpassen müssen Prokrustes nicht zu begegnen, hier meine schon vor vielen Jahren verfasste Kurzfassung der Prokrustes-Geschichte:

Manche finden’s gar nicht nett

Zu liegen in Prokrustes Bett

Bist nur ein wenig du zu lang

Mensch, da wird mir angst und bang

Da macht er nicht lange Faxen

Und schneidet ab dir deine Haxen

Bis du die richt’ge Länge hast

und exakt ins Bettchen passt

Bist hingegen du zu klein

Hämmert wild er auf dich ein

Wie ein Schmied auf heißen Stahl

Gefesselt wie am Marterpfahl

Bist du hast sein Längenmaß

Huij, das macht ihm mächtig Spaß

Passt du genau dann in sein Bett

Bist du tot – er findet’s nett

In diesem Sinne wünsche ich allen meinen FederLeserinnen und -Lesern einen schönen und erholsamen Urlaub, viele Möglichkeiten des Konjunktivs und prokrastinieren Sie ruhig einmal ausgiebig. Die Wahrscheinlichkeit in Prokrustes Bett zu landen ist, statistisch gesehen, ohnehin gering.

2022 07 25/Fritz Herzog