Adipositas, Churchill und die Hadza
Ohne meinen geschätzten FederLeserinnen und -Lesern allzu nahe treten zu wollen, aber ist es nicht so, dass die diversen Lockdownungen der vergangenen Monate (ja, ich weiß, gefühlt waren es Jahre!) uns allen unerwünschten Zuwachs rund um die Leibesmitte beschert haben? Also, ich für meinen Teil vermag das nicht zu leugnen – die Waage ist da ebenso unerbittlich wie die weniger gewordenen freien Löcher am Gürtel.
War früher schon die einzige Bewegung der Gang ins Wirtshaus, das Beisel oder zum Heurigen des Vertrauens, so haben uns dieses letzte Power-Workout in den Zeiten der Ausgangsbeschränkungen die jungen Damen und Herren der diversen Lieferservices abgenommen, die uns mit ihren Fahrrädern, flott wie Eddy Merckx die Nahrung bis vor die Wohnungs- oder Haustür gebracht haben. Die haben zwar das traurige Los eines miserabel bezahlten prekären Arbeitsverhältnisses, Gewichtszunahme gehört aber sicher nicht zu ihren Problemen.
Dabei wird schon Sir Winston Churchill der Satz zugeschrieben, dass »no sports« der Grund dafür sei, dass er trotz Fettleibigkeit, Alkoholkonsum und exzessivem Zigarrenrauchen bis ins hohe Alter fit geblieben sei. Aber erstens ist dieser Satz nicht gesichert überliefert und zweitens war der gute Sir Winston in jungen Jahren sehr wohl eine Sportskanone.
Wie ist das nun wirklich mit sportlicher Bewegung und dem Verlust körperlicher Fülle. Liest man die diversen einschlägigen Magazine, so muss es doch ganz leicht sein die nötigen Kilogramm wieder abzubauen. »Tu nur Dies oder Jenes und du hast in zwei Wochen wieder eine Bikinifigur« erfahren wir dort jedes Jahr rechtzeitig vor der Sommersaison. Abgesehen davon, dass bei mir eine Bikinifigur eher fehl am Platz wäre, sind diese Diäten grundsätzlich ein Mumpitz. Jo-Jo spielt man mit Faden und Rolle, aber nicht mit dem Bauch!
Um all den mehr oder minder sinnhaften Diäten noch eines draufzusetzen, hat nun der Kulturanthropologe Herman Pontzer von der Duke-University in North Carolina erforscht, dass zwischen Bewegung und Kalorienverbrauch kein Zusammenhang besteht. Er sagt: »Dein Gehirn ist sehr, sehr, sehr gut darin, zu vergleichen, wie viele Kalorien du isst und wie viele Kalorien du verbrennst«. Und weiter: »Uns allen wurde gelehrt, je mehr wir uns bewegen, desto mehr Energie verbrennen wir und helfen so beim Abnehmen. Aber das ist die falsche Sicht auf den flexiblen Stoffwechselmotor des menschlichen Körpers«.
Na bitte! Endlich sagt das Einer! Und Professor Pontzer hat auch einen Beweis bei der Hand. Dafür entführt er uns nach Tansania zu dem dort lebenden Stamm der Hadza. Die Hadza sind eine winzige Volksgruppe von nur mehr wenigen hundert Menschen, die noch als Jäger und Sammler unter steinzeitlichen Verhältnissen in der Savanne, abseits jedweder Zivilisation wie wir sie verstehen, leben.
Diese Hadza laufen täglich auf der Nahrungssuche über weite Strecken, jedenfalls mehr als so mancher Jogger der täglich nach Dienstschluss über die Hauptallee in Wien keucht. Und trotzdem verbrauchen diese Hadza genauso viele Kalorien!
Naja, nicht alles was hinkt ist ein Vergleich und schon gar kein Beweis. Ich für meinen Teil habe jedenfalls trotz der Pontzer’schen Forschungen den Vorsatz mich künftig ein bissl mehr zu bewegen. Dafür werde ich mich aber weder bei einem Fahrrad-Lieferservice-Anbieter um einen Job bewerben, noch werde ich nach Tansania ziehen und um Aufnahme in den Stamm der Hadza ersuchen. Oder, noch besser, ich halte es wie Winston Churchill, der seine späten Jahre auch sportsfrei, aber genussvoll verbracht hat.
2021 06 19/Fritz Herzog