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FederLesen

woke, wokiger, am wokigsten

Sind Sie, meine geschätzten FederLeserinnen und -Leser auch munter, also wach, also aufgewacht, also woke? Aufwachen! Man hat heutzutage woke zu sein! Also ich bin so was von woke, dass ich manchmal schon ganz wokelig bin. Wokeln tu ich nämlich nicht nur dann, wenn ich vom Heurigen nach ein paar Gläser Grünen Veltliners zu viel nach Hause wokle, sondern immer.

Regelmäßig woke ich auch in der Nacht auf und frage mich schweißgebadet, wo ich denn wokemäßig zuletzt gesündigt hätte. Höchste Zeit, dass es einen woke-Beichtspiegel gibt; einen, wie wir ihn seinerzeit vor der Erstkommunionbeichte erhalten haben: »ich habe gelogen, ich habe betrogen, ich habe die Katze am Schwanz gezogen« und so weiter.

Ich stelle mir da einen Beichtspiegel so in der Art vor wie »ich habe heimlich Karl May gelesen« oder »gestern habe ich Reggae Musik gehört« und überhaupt »richtig dschändern tu ich nicht immer«. Gibt’s sowas eigentlich von der Perlenreihe? Zeit wär’s. Oder »Wokeln for Dummies«, wär‘ auch eine Möglichkeit, zumindest für den wokigen Anfänger.

Aber Ihr FederLesen-Autor steht da ja völlig über den Dingen: Den Winnetou habe ich zuletzt vor über fünfzig Jahren gelesen, fällt also eher in die Kategorie Jugendsünde und gilt damit als verjährt. Meine ergraute Mähne werde ich mit Sicherheit niemals zu Dreadlocks verfilzen lassen und unter meinem Schuhwerk finden sich keine Mokassins.

Schon meine Mutter war seinerzeit ziemlich woke, ich durfte niemals als »Native American«, vormals »Indianer« genannt, auf den Kinderfasching gehen. Nein, als Gartenzwerg oder siebenter Zwerg musste ich auf den Kinderfasching. Die anderen Mütter fanden mich süß und mir war’s nur peinlich (der Begriff »ur-peinlich« war damals noch nicht erfunden). Ob besagtes Zwergenkostüm wokemäßig korrekt war, darüber ließe sich jetzt streiten, immerhin eignet es sich ja kleinwüchsige Menschen an, die sich damit diskriminiert fühlen könnten. Aber so weit dachte meine Mutter Anno neunzehnhundertsechzigirgendwann auch wieder nicht.

Zwerg statt »Indianer«/1962

Ein Geständnis muss ich jedoch ablegen, ganz so frei von wokeligen Sünden bin ich auch wieder nicht. Ich fand den Film »Der Schuh des Manitou« ebenso witzig wie »Die Götter müssen verrückt sein« und Louis de Funes als »Rabbi Jakob« war auch nicht ohne. Nobody is perfect, sozusagen. Mea culpa, mea maxima culpa.

Ja, »Kruzitürken noch einmal« ist das alles kompliziert mit der Wokerei, aber, aujeh, Kruzitürken geht gar nicht, die Kuruzzen und die Türken könnten sich betroffen fühlen. Also, zweiter Fluch-Versuch: »Himmelherrgottnocheinmal«, nein, geht auch nicht. »Herr« und »Gott«, nein, das klingt wieder so nach altem weißen Mann. Wie flucht man wokegerecht? Kann mir da wer helfen? »Jössasmarandjosef« geht ja auch nicht, weil blasphemisch.

Anscheinend bleiben bei woken Fluchen auch nur mehr die Fäkalflüche, so man Deutsch spricht oder, falls man mehr die englische Sprache bevorzugt. die Aufforderung mit jemand in geschlechtlichen Verkehr zu treten, mit der inzestösen Steigerungsform, es mit der eigenen Mutter zu tun. Aber lassen wir das…

Was bleibt zuletzt? »Allen Menschen recht getan, ist eine Kunst die niemand kann!« Wie wär’s damit? Ein bissl entspannt sein! Mehr tolerant sein! Nicht alles so tierisch ernst nehmen! Nicht aus jeder verbalen Flatulenz eine Katastrophe herbeireden! Lieber Mailüfterl genießen als shitstorm auslösen! Achtsam sein, wo etwas verletzend sein könnte, aber auch nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen! Probieren wir’s wenigstens.

2022 09 28/Fritz Herzog