Vom Frňák, anderen Nasen und dem Jamón Ibérico
Eine alte Volksweisheit besagt, dass »wie die Nase des Mannes so sein Johannes« sei. Das scheint mir, um es Neudeutsch auszudrücken, wenig evidenzbasiert und außerdem finde ich, dass der Johannes ohnehin nur um des Reimes Willen in diesen Kalauer gerutscht ist. Trotzdem sollten wir unser Riech- und gelegentlich auch Rotzorgan nicht geringschätzen. Was täten wir, röchen wir nicht den Duft eines guten Bratens oder das zarte Odeur der Damen. Dass es auch Gerüche gibt auf die wir gerne verzichten würden, lasse ich an dieser Stelle dahingestellt.
Dass unser Mittelgesichtsknorpel eine wesentliche Rolle in der Menschheitsgeschichte gespielt hat und noch immer spielt, darauf deuten – neben dem oben angeführten unsinnigen – zahllose andere Sprüche und Weisheiten hin. Es beginnt beim »kleinen Naseweis« über jemand, der »eine gute Nase fürs Geld« hat und doch geht man am besten »immer der Nase nach« bis man schlimmstenfalls »auf die Nase fällt« und sich eine »blutige Nase holt«.
Und zu manchen Berühmtheiten gehört ihre Nase einfach dazu, als Markenzeichen sozusagen. Was wäre ein Boxer ohne Boxernase und Barbara Streisand wäre mit Stupsnäschen ebenso undenkbar wie Karl Malden ohne seine Knolle im Gesicht. Die Weltliteratur müsste ohne die traurige Geschichte von Cyrano de Bergerac oder der Lügennase des Pinocchio das Auslangen finden. Letztere Nase fand sogar Eingang in die hehre Wissenschaft: Mittels des sogenannten Pinocchio-Effekts lassen sich angeblich Unwahrheiten besser feststellen als mit jedem Lügendetektor. So soll beim Lügen die Nase kälter und die Stirne wärmer werden, was sich mit Hilfe einer Wärmekamera feststellen lässt.
Ich will Sie aber jetzt nicht länger an der Nase herumführen und mich dem Señor Manuel Vega Domínguez zuwenden, der seine Nase aus rein beruflichen Gründen schnuppernd wo hineinsteckt. Señor Vega lebt in dem kleinen Ort Jabugo in der spanischen Provinz Huelva. Der Ort ist berühmt für seinen hervorragenden spanischen Schinken, den Jamón Ibérico und Señor Vega ist dort einer von sechs Schinkenschnüfflern, genannt Caladors, in der Manufaktur Cinco Jotas.
Jetzt dürfen Sie sich, meine geschätzten FederLeserinnen und -Leser, das nicht so vorstellen, wie man zu Hause nach einer Woche hinten im Kühlschrank noch ein paar Scheiben Schinken findet und mittels Geruchprobe feststellt ob diese noch essbar sind oder nur mehr zum Entsorgen. Dort wird fachmännisch gerochen! Mittels einer Sonde aus einem Rinderknochen wird jeder Schinken an vier verschiedenen Stellen angestochen und mittels Inhalation aus der Sonde stellt der Schnüffler den Reifegrad des Schinkens fest.
Diese ganze Schnüfflerei des Señor Vega ist nun wahrlich kein Honiglecken. Muss er in normalen Zeiten etwa zweihundert Schinken täglich erriechen, so sind es in der Hochsaison vor Weihnachten bis zu achthundert. Achthundert Schinken, das heißt 3.200 Mal riechen ob der Schinken reif und verkaufsfähig ist oder ob er noch weiter abhängen muss. Ich würde meinen: Das ist Schwerarbeit! So dürfen wir davon ausgehen, dass es bei ihm zu Weihnachten keinen Schinken am Esstisch gab – irgendwann muss auch im Hause Vega olfaktorisch Ruhe einkehren.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, ich esse zwar gerne einen guten Schinken, möchte aber nicht ein paar tausend Mal am Tag daran riechen. Ich mag den Duft eines guten Essens ebenso wie jenen eines guten Glases Wein und mit meiner Nase, die früher gelegentlich von älteren Leuten als Frňák (tschechisch für große Nase) bezeichnet wurde, bin ich auch zufrieden. Ich hoffe, es geht Ihnen ebenso.
2022 01 02/Fritz Herzog